Brief in die Auberginenrepublik by Abbas Khider
Autor:Abbas Khider
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Edition Nautilus
veröffentlicht: 2013-02-10T05:00:00+00:00
Fünftes Kapitel
Kamal Karim, 31 Jahre alt, Polizist
Donnerstag, 7. Oktober 1999
Bagdad, Irak
9 Uhr morgens. Meinen Nissan parke ich auf der Raschied-Straße vor einem Restaurant, unmittelbar neben dem Tahrir-Import-Export-Büro, meiner neuen, etwas speziellen Arbeitsstelle. Einmal pro Woche, an jedem Donnerstag, muss ich hierher kommen. Meine eigentliche Arbeit erledige ich ansonsten im Untersuchungsgefängnis Rassafa, wo ich seit Jahren als Wächter angestellt bin. Nicht lange ist es her, erst knappe sechs Monate, da bestellte mich der Direktor des Gefängnisses, Oberst Ahmed Kader, in sein Büro und sagte: »Deine künftige Aufgabe ist die Arbeit als Brief-Kontrolleur.« Ein Kollege, der diesen Beruf bis jetzt ausübte, sollte mir alles beibringen. Dieser Mann erzählte mir, dass Oberst Ahmed, den man den »Wolf« nennt, diese Form der Kontrolle eingeführt hat. Der Arbeitsbereich Briefkontrolle existiert seit 1996 in der Sicherheitsbehörde. Nach dem Aufstand im Jahre 1991 waren viele Iraker ins Ausland geflohen, und kurz danach hatte das Phänomen der illegalen Briefsendungen begonnen. »Um solche Briefe, die die Lastwagenfahrer ins Land schmuggeln, wirst du dich kümmern.«
In dem Import-Export-Büro, vor dessen Tür mein Auto jetzt parkt, werden die illegalen Briefe abgeliefert. Meine Aufgabe besteht darin, die Briefe zu lesen, die wichtigsten Informationen herauszufiltern und diese in einem kurzen Protokoll an meinen Chef weiterzuleiten. Diesen Job betrachte ich als eine Art polizeiliche Auszeichnung. Ich arbeite unmittelbar, persönlich mit dem Chef zusammen. »Alles bleibt geheim«, schärfte er mir ein. »Der gute Ruf des Besitzers des Tahrir-Import-Export-Büros Haji Saad muss gewahrt bleiben. Wenn die Menschen erfahren, dass wir heimlich Briefe öffnen und lesen, wäre das eine Katastrophe. Also, weder deine Kollegen noch deine Familie dürfen etwas erfahren! Verstanden?«
»Ja, Herr!«
Im großen Saal des Büros begrüße ich die sechs Mitarbeiter, die mit konzentrierten Mienen an ihren Arbeitstischen sitzen, gehe durch den Hinterhof, erreiche mein fensterloses Arbeitszimmer und schalte das Licht ein. Der Zwölf-Quadratmeter-Raum muss früher als Abstellkammer oder etwas Ähnliches gedient haben. Jetzt stehen mein Arbeitstisch und ein Schrank für die Unterlagen darin. Auf dem Tisch finde ich die beiden großen Behälter, in denen die Briefe gesammelt wurden. Zwei Sorten von Briefsendungen lagern hier: In der einen Box liegen diejenigen, die aus dem Ausland angeliefert wurden, in der anderen die Briefe, die aus dem Inland herausgeschmuggelt werden sollen. Heute beschäftige ich mich erst mal mit den aus dem Ausland eingetroffenen Sendungen, weil nur sehr wenige Inlandsbriefe eingetroffen sind.
Jemand klopft an die Tür.
»Herein!«
Einer der Büromitarbeiter, dessen Namen ich nicht kenne, hält in einer Hand eine Tasse Tee und in der anderen ein Glas Wasser. »Für Sie!«, sagt er und stellt die Getränke auf den Tisch.
»Danke! Schließen Sie beim Gehen bitte die Tür hinter sich!«
»Benötigen Sie sonst noch etwas?«
»Nein, danke!«
Meine Arbeitskollegen würden, wenn sie davon erführen, sicher denken, wie langweilig dieser Job sein muss. Mir hingegen gefällt das tausendmal besser, als Häftlinge zu bewachen oder ein Haus zu stürmen, um jemanden festzunehmen, während die Frauen und Kinder ringsherum schreien, heulen und wehklagen. Anfangs, in meinen ersten Jahren bei der Polizei, fand ich es aufregend, den Menschen mit der Pistole in der Hand Angst einzujagen. Jung und auf Abenteuer aus, kannte ich nichts Spannenderes.
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